Die Wiederherstellung des Altares zu Davensberg
Über den Altar der Davensberger St.Anna-Pfarrkirche gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungen, wissenschaftlich belegte Tatsachen, aber auch viele Mutmaßungen. So sind im Buch "Davensberg - Burg und Flecken" von Wilhelm Henrichmann der Kirchengeschichte einige Kapitel gewidmet und umfangreiche Informationen festgehalten. Auch in den Geschichtsblättern des Kreises Coesfeld (Jahrgang 1986) befindet sich eine interessante Abhandlung von Géza Jászai: "Der Bürensche Epitaphaltar der Katholischen Pfarrkirche St. Anna zu Davensberg im Lichte neuentdeckter Rekonstruktionsentwürfe".
Eine der ältesten Fundstellen zum Davensberger Altar stammt aus dem Jahre 1893 und ist vom Provinzial-Bauinspektor und Konservator A. Ludorff verfaßt und in der Reihe "Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen", veröffentlicht worden. Eine weitere Veröffentlichung zum Davensberger Altar ist vermutlich ein Zeitungsartikel, veröffentlicht mit dem Untertitel "Aus Leben und Geschichte der Heimat". Geschrieben wurde der Artikel von Peter Werland und fest steht das Datum der Veröffentlichung: Er ist vor 70 Jahren, am 25. Oktober 1929, in Münster gedruckt worden. Die hochinteressanten Ausführungen finden Sie nachstehend, bis auf einige nicht leserliche Stellen, im Original-Wortlaut. Zu einigen Aussagen und Personen im Text haben wir am Ende des Kapitels noch Anmerkungen aus anderen Quellen ergänzt. Das zum großen Teile der spätgotischen Zeit entstammende freundliche Kirchlein zu Davensberg, vor dreißig Jahren leider sehr wesentlicher Teile seines Kunstschatzes beraubt, hat jetzt (Anm. 1) wieder eine Sehenswürdigkeit erhalten, die durch die Art, wie sie geschaffen wurde, vielen Kirchen als Muster dienen kann, da sie ein treffliches Beispiel ist für die edelste Form der Kunstpflege durch den Provinzialkonservator. Alte Kunstwerke sollen nach Möglichkeit dort bleiben, wohin sie unsere Vorfahren zur Zweckbestimmung gestellt haben. Erst dann, wenn das nicht möglich ist, beginnt die Aufgabe des Museums; denn das Museum soll heimatlos gewordenen oder gefährdeten Kunstwerken Heimstatt sein, sie vor Vernichtung schützen und aufbewahren im wahrsten Sinne des Wortes, um sie späteren Zeiten zur Freude und zum Studium zu erhalten. Ein Blick in den Band "Lüdinghausen" der "Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen", in dem auch die besten der in der Davensberger Kapelle nicht mehr vorhandenen Kunstwerke festgehalten sind, zeigt, daß dem Kirchlein gerade in der Zeit des Überganges von der Spätgotik zur Frührenaissance manch wertvolles Kunstwerk eingefügt wurde. Nicht die geringsten unter ihnen waren die schöne Kommunionbank und vor allem das feine Chorgestühl. Außer einem Paar fein gegliederter hoher Sandsteinkandelaber und der der Frührenaissance entstammenden Holzkanzel kennt unsere Zeit dort nur noch das größte und alles in der Kirche beherrschende Kunstwerk aus der damaligen Kunstepoche: den ebenso gut gegliederten wie in den Einzelheiten sorgfältig durchgearbeiteten Altaraufsatz aus Sandstein, den man auch schon bei flüchtigem Beschauen als ein Werk des Beldensnyders Johann Brabender (Anm. 2) ansprechen konnte. So charakteristisch ist diese Arbeit im Ganzen. Dieser Altaraufsatz ist vertikal dreiteilig gegliedert, das Mittelstück um mehr als ein Drittel höher gestochen. In diesem Felde eine Darstellung der Kalvarienbergszene mit den beiden Schächern und den Frauen unter dem Kreuze, in den niedrigeren Seitenteilen rechts die Anbetung des Christkindes durch die Hirten, links die Dreikönigsszene, alles in Hochrelief und von der charakteristischen Weinranke in der gotischen Kehlung umgeben, jede Darstellung nach oben hin mit fein durchgearbeitetem, bogenförmig gehaltenem Sandsteinfiligran überlegt. Das Ganze ruht auf einer leicht eingezogenen Predella mit sechszeiliger, durchgehender Inschrift aus erhabenen gotischen Minuskeln und Majuskeln in Antiqua-Blockschrift. Tabernakel und Erpositorium waren ursprünglich nicht vorhanden.
Durch Meister Rüller (Anm. 4) ist jetzt der Altaraufsatz in eine Verfassung zurückversetzt, die in ganz hervorragender Weise eine Verwirklichung des Bestrebens zeigt, dem Altar, soweit es unter den jetzigen Verhältnissen möglich war, seine ursprüngliche Form wiederzugeben (Anm. 5).
Es ist das Familienwappen der Stifter der Kirche. Denn Balthasar von Büren und Elisabeth v. Wickede erbauten die Davensberger Kirche im Jahre 1510 und gründeten 1517 die heute noch bestehende Vikarie. Stifter des Altars ist der Kanonikus Melchior v. Büren (Anm. 6), wie aus der jetzt ganz freigelegten lateinischen Inschrift hervorgeht, die in der Übersetzung etwa folgendermaßen lauten würde: "Der edle Herr Melchior von Büren, Kanonikus-Senior, Kantor und Küster der münsterischen Kirche, hat dafür gesorgt, daß dieses gemeißelte Bild auf seine und der Allgemeinheit Kosten in ebenso frommer wie freigebiger Absicht geschaffen worden ist, und hat zum Andenken und zu Ehren der Jungfrau Maria und der Mutter Anna die Darstellungen der Geburt, des Leidens und der drei Könige geweiht. Auf ihre Fürbitte mögen der vorgenannte Herr und sein Bruder Johannes von Büren, Droste in Werne, und dessen sehr liebe Gattin Maria und die gesamte edle Stammesfamilie, soweit ihre Angehörigen bereits unter die seligen Geister aufgenommen sind, glückselig ruhen in ewigem Frieden. Amen." Zweifellos ist Melchior v. Büren als der Stifter kniend unter dem Kreuze links dargestellt, während sein Bruder Johannes links in der Dreikönigsszene und dessen Ehefrau Maria von Koverden rechts von der Geburtsszene knien, beide vor ihren Wappen, Johannes empfohlen von seinem Namenspatron Johannes dem Evangelisten, Maria von den beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus.
Es mag hier übrigens auf eine Unstimmigkeit hingewiesen sein zwischen Borns Mitteilung und dieser Inschrift in der Predella. Diese sagt deutlich, daß es sich um den Bruder des Melchior und dessen Frau handelt; Born dagegen bezeichnet sie als "die knienden Figuren seiner Eltern" und folgert weiter, "daß Melchior von Büren den Altar zum Andenken an seine Eltern gestiftet hat, und jedenfalls ist dies dann zwischen 1540 und 1545 geschehen und die Arbeit zur Ausführung gelangt." Schwieters endlich ("Geschichtliche Nachrichten über den östlichen Teil des Kreises Lüdinghausen, Münster 1886, Druck bei Aschendorff) bezeichnet die Frau Johanns II. als Klara von Koverden, was durch diese Inschrift auch als berechtigt gelten darf. Dieser Johann baute wahrscheinlich die Davensberger Kirche und den jetzt noch stehenden Turm, war 1534 Droste (Satrapes) des Amtes Werne, stand rege auf Seiten des Bischofs, so vor allem auch bei der Belagerung Münsters gegen die Wiedertäufer, starb 1544 und wurde zu Ascheberg begraben. Da er auf der Inschrift gemeinsam mit seinem Bruder Melchior und seiner Frau Maria als lebend erwähnt wird, muß der Altaraufsatz also vor 1544 gestiftet worden sein. Die Wiederherstellung des bildhauerischen Teiles setzte zunächst eine gründliche Reinigung vor allem der Figuren von dickem Ölanstrich voraus, und das ist von dem münsterischen Maler Hermanns ebenso sorgfältig besorgt worden, wie das leichte lasurfeine Anlegen der Skulpturen und des Hintergrundes und der Predella nebst Wappentafel. Etwa vom Knie der Mutter Gottes an war der mittlere Teil vollständig zerstört worden, als man das Tabernakel einbaute (Anm. 7). Möglicherweise war hier - so könnte man die Inschrift deuten - die gesamte edle Stammesfamilie, also wohl die Kinder - nach der Art der Tafelszenerien der damaligen Zeit - zu Füßen des Gekreuzigten dargestellt. Das ließ sich jedoch nicht wiederbeschaffen, und Meister Rüller fand außerordentlich geschickt die Lösung, indem er den Kreuzeshügel leicht zurückdrängte und in die geschaffene Höhlung eine Beweinung Christi hineinkomponierte, wobei es ihm trefflich gelang, seine Hand auf die Sprache des Beldensnydermeißels einzustellen. Daß er dabei beiderseits über die Architektur hinübergriff, kann nur dazu dienen, den flotten Charakter der Arbeit zu unterstreichen.
Nicht ganz so glücklich gelöst scheint mir die Behandlung der Altarsbekrönung. Zwar ist es durchaus sinngemäß, die Fialen aufzusetzen, zumal sich aus der früheren Zeit noch eine Fiale der alten Krönung erhalten hatte. Aber die dazwischen gesetzten spätgotischen Verbindungsleisten erscheinen mir zu streng. Man möchte glauben, daß sie sinngemäßer behandelt worden wären in der Art der Bekrönung des dreiteiligen Reliquienschreins links neben dem Hauptaltare in der Kirche zu Kappenberg. Bis vor etwa zwanzig Jahren hingen in der Kirche zu Davensberg zwei doppelseitig bemalte Tafelgemälde in der Größe 80:70 Zentimeter mit den Darstellungen der vier Evangelisten, die auf den ersten Blick die Hand Hermann tom Rings (1521-1596) verrieten, "farbenfrohe lebendige, leider zum Teil sehr stark beschädigte Darstellungen von origineller Auffassung". Um sie vor weiterer Zerstörung zu schützen, übergab man sie dem Landesmuseum als Leihgabe, und hier sah sie Karl Hölker, der in seiner Monographie "Die Malerfamilie tom Ring" (Heft 8 der Beiträge zur westfälischen Kunstgeschichte, bei Coppenrath in Münster 1927) die Tafeln näher behandelt. Lukas und Matthäus, sowie Johannes und Markus sind auf je einer Tafel dargestellt derart, daß Vorder- und Rückseite bemalt sind. Da die beiden Doppeltafeln den Maßen nach genau als Flügel an den Altar paßten, wurden durch die Bemühungen des Vikars Dirkes, Verwalter der Kirche zu Davensberg, und des Provinzialkonservators und Landesbaurats Körner, die Flügel der Davensberger Kirche wieder zurückgegeben und wieder an dem Altar befestigt, nachdem sie durch den Maler Hermanns vorsichtig behandelt worden waren. Die Darstellungen des Matthäus und Markus waren jedoch so stark beschädigt, daß ihre museumsmäßige Konservierung nicht genügte, um auch dem Laien einen befriedigenden Anblick zu gewähren. Daher wurden diese beiden Tafeln durch den Maler Hermanns kopiert (was übrigens ausgezeichnet gelungen ist), in entsprechenden Rahmen vor das erste Flügelpaar gelegt und durch Scharniere und Haken leicht mit den alten Flügeln verbunden, so daß zwar die Originale verdeckt sind, aber jederzeit gezeigt werden können. Bei geschlossenem Altare sieht man also die von den Originalen kaum zu unterscheidenden Kopien der Matthäus- und Markus-Tafel. Werden die Flügel bei festlichen Gelegenheiten geöffnet, zeigen sich neben dem wiederhergestellten Skulpturenwerk des Beldensnyders Johann Brabender die dem Jahre 1566 entstammenden Original-Tafelgemälde Hermann tom Rings mit den Darstellungen der Evangelisten Lukas und Johannes, die also gewöhnlich auch sorgsam geschützt sind. Man durfte es als eine Selbstverständlichkeit betrachten, daß auch der weit überragende mittlere Teil ursprünglich mit Hilfe der Flügel abgeschlossen werden konnte, wie dies u. W. bei allen ähnlichen Altären geschieht. Auch hier fand sich eine Lösung. Denn im Schlosse zu Nordkirchen, dessen Eigentümer auch seit 1694 Davensberg gehört, fanden sich zwei schmale Tafelgemälde, deren Rückseite keine Malereien mehr erkennen ließen, die aber in Höhe und Breite genau vor das überschießende Skulpturenstück des Mittelteiles paßten: eine Verspottung und eine Auferstehung Christi. Man durfte annehmen, daß sie ursprünglich dieses Aufsatzstück abgeschlossen haben, wenn auch die Malerei nicht die Hand Hermann tom Rings trägt, vielmehr eher Dürerscher Art zuneigen. Diese beiden Tafeln wurden durch einen Rahmen den beiden Flügeln aufgesetzt und ihnen nach außen hin, also über den beiden erwähnten Kopien auf den äußeren Flügeln zwei Tafeln mit der Verkündigungsszene vom Maler Hermanns gegengestellt. Auch diese beiden Täfelchen werden, wenn die Patina der Jahre sich über sie gelegt hat, dem Äußern einen harmonischen Abschluß geben. Alles zusammmengenommen kann mit großer Genugtuung festgestellt werden, daß durch das Hand-in-Hand-Arbeiten des Provinzialkonservators mit dem Hüter und Verwalter der Kirche und die Opferwilligkeit mehrerer Gemeindemitglieder aus verstreuten und zum Teil verschandelten alten Kunstwerken ein Altarwerk wieder erstanden ist, das wirklich verdient, von den Einheimischen mit der Liebe gewürdigt zu werden, die einem so wertvollen Stück gebührt.
Den vielen Fremden aber, denen das freundliche Davertdörfchen ein gern besuchtes Ausflugsziel ist, möge dieses Kunstwerk das Musterbeispiel einer vorbildlichen Wiederherstellungsarbeit im Sinne des Heimatschutzes sein und der Beweis dafür, was im Gegensatze zu vergangenen Jahrzehnten in unserer Zeit verständnisvolle Kunst- und Heimatliebe wieder gutmachen kann. Anmerkungen:
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Peter Werland (entnommen dem "Davensberger Jahrbuch 1999") |