In die Davert
Im "Münsterischen Anzeiger" erschien am 23. Juli 1904 folgender Artikel:
Nach einer kleinen Pause machen wir uns auf, uns den Turm anzusehen, der schon beim Eintritte ins Dorf unsere Aufmerksamkeit erregt hat und etwas über Davensbergs Vergangenheit zu erfahren. Die Schlüssel zum Turme stellt uns Herr Förster Oelmann, der etwas weiter, wie der Wirt Börger, in der Richtung nach Ascheberg links an der Straße wohnt, gern zur Verfügung. Das jetzige Dörfchen Davensberg, 4 Kilometer nordwestlich von Ascheberg und 4 Kilometer südöstlich von Ottmarsbocholt entfernt, ist auf dem von dem Emmerbache umflossenen äußeren Burghofe des Rittergutes Davensberg entstanden. Außer der vor etwa 3 Jahren zum Teile abgebrannten Mühle, den Wirtschaftsgebäuden und Viehställen, lagen auf diesem Burghofe sieben Kötterhäuser, deren Bewohner im Falle der Not Burgmannsdienste leisten mußten. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts standen hier zwei feste Torhäuser. Der Zugang zur inneren Burg war wieder durch ein Torhaus mit überwölbtem Torbogen gesichert. Von diesem konnte wahrscheinlich eine Zugbrücke über den noch jetzt sichtbaren, aber größtenteils ausgetrockneten Graben niedergelassen werden. Es ist recht wenig, was der gierige Zahn der Zeit von all den vielen Gebäuden der Burg verschont hat. Uns zur Rechten, gleich neben dem runden Turme, sieht man als Überbleibsel des letztgenannten Torhauses einen Pfeilerstumpf, auf dem noch vor etwa drei Jahren ein Löwe, das von Bürensche Wappen haltend, die neuzeitlichen Besucher gar grimmig anschaute. Dieser Löwe soll nach Nordkirchen gekommen sein. Von der eigentlichen Burg sind nur kleine Mauerreste von etwa 2 Meter Stärke vorhanden, die aus Ziegelsteinen bzw. Kiesel bestehen und mit dem festesten Mörtel verbunden sind. Der innere Burghof, etwa 3 Meter hoch gelegen und mit Fichten bestanden, bildet ein Rechteck in Größe von vielleicht 40 Meter Länge und 27 Meter Breite.
Eine armdicke Efeuranke hat sich zwischen Treppe und Turm hindurchzuzwängen gewußt, seine Würzelchen in das feste Gemäuer geschlagen und umklammert nun, den oberen Teil des Turmes mit den dunkelgrünen Blättchen überdeckend, den alten Riesen, als wolle sie ihn zusammenhalten, damit er noch lange, lange den Stürmen der Neuzeit Trotz bieten könne.
Das untere Gelaß des Turmes hat Mauern von 1,50 Meter Stärke, erhält sein kärgliches Licht durch vier kleine Öffnungen und ist mit einem rohen Gewölbe überdacht. Zweifellos war hier der Aufenthalt für die Gefangenen; denn eine hier noch befindliche Britsche aus schweren Eichenbohlen "zum Stocken und Blocken" hatte den Zweck, die armen Gefangenen festzulegen, damit sie in diesem feuchten Raume bei kärglichster Nahrung ihr Leben fristeten. Wie manch beklagenswerter Ritter, der während jener fehdereichen Zeit gefangen genommen wurde, mag hier ein kümmerliches Dasein geführt haben, bangend um sein Los und das Los seines Weibes und seiner hoffnungsvollen Kinder, indes der laute Jubel der zechenden und, sich beim Dobbelspiele belustigenden Sieger in seine Zelle drang! Im Volksmunde geht die Sage, daß dort, wo jetzt die "Folterbank" steht, früher ein beweglicher Fußboden gewesen sei. Dem Eingange der Tür gegenüber stand eine Engelsfigur. Der arme Gefangene erhielt nun die Aufforderung, dem Engel die Füße zu küssen. Kam er dieser Aufforderung nach, und hatte er eben die Mitte des Fußbodens überschritten, dann schwand der Boden unter seinen Füßen, er sank in die Tiefe und ertrank in dem tiefen Brunnen, wenn nicht vorher schon die von allen Seiten hervorragenden sensengroßen Messer ihm den Todesstoß gegeben hatten. Mit der Burg Davensberg war das halbe Gogericht des Amtes Werne verbunden, und hier wurde über Leib und Leben gerichtet. Die Sitzungen fanden auf einem der alten Torhäuser statt. Viele Hexenprozesse wurden hier verhandelt und manches Todesurteil gefällt. Den Nichtgeständigen wurden die Geständnisse mittels Folter, spanischer Stiefel, Daumenschrauben usw. abgepreßt. Auf Anklage wegen Hexerei stand der Feuertod, sonstige Verbrechen fanden ihre Sühnung durch den Tod am Galgen, der noch bis vor 100 Jahren auf dem Renneberg stand. Der Pastor von Ascheberg hatte die armen Sünder zum Tode vorzubereiten und erhielt dafür 1 Taler Jura. 1779 wurde die Scharfrichterstelle zum letzten Male neu "verpachtet". Die letzte Hinrichtung wurde 1780 an einem Johann Schröder aus Ahlen vollzogen. Über die Gründung und die ersten Besitzer der Burg ist urkundlich nichts auf uns gekommen; jedenfalls nannten sie sich aber nach ihrer Burg "von Davensberg". Etwa 1185 war schon Hermann von Meinhövel (Wappen quer geteilt, oben drei Münzen) mit seiner Gemahlin Adelheid Besitzer der Burg. Vielleicht war diese Adelheid die Erbtochter zu Davensberg, und Meinhövel hatte die Burg durch Heirat erworben. Die Herren von Meinhövel nannten sich von Meinhövel gnt. von Davensberg oder auch einfach von Davensberg. 1357 wurde Davensberg aufgrund eines Vertrages zwischen dem Bischofe Ludwig und dem Grafen von der Mark wegen Landfriedensbruchs zerstört, bald jedoch wieder aufgebaut. Gerburgis, die Erbtochter zu Davensberg, eine Enkelin des oben genannten Hermann von Meinhövel, verheiratete sich um 1320 mit Berthold von Büren. Seit dieser Zeit hat bis zum Jahre 1576 stets der älteste Sohn derer von Büren die Burg vom Vater übernommen. Bei der Belagerung Münsters im Jahre 1534 war Johann von Büren Feldherr im Heere des Fürstbischofes Franz von Waldeck gegen die Wiedertäufer. 1576 starb Jobst, der letzte Stammherr von Büren zu Davensberg, ohne Kinder zu hinterlassen. Die Burg fiel daher an seine beiden Brüder Melchior und Baltassar, die beide Domherren zu Münster waren. Des "Domkellners" Melchior von Büren, der auf dem Gute Schonefleithe an der Eins wohnte, wird von Kerssenbroick in seiner "Geschicilte der Wiedertäufer" mehrfach Erwähnung getan. Mit dem Tode des zuletzt versterbenden Baltassar fiel Davensberg an seine beiden Schwestern Agnes (seit 1553 mit von Wolf Füchteln vermählt) und Johanna, die sich 1584 mit Gerd von Worries zu Nordkirchen verheiratet hatte. Fürstbischof Friedrich Christian vereinigte 1694 die Davensberger Güter durch Hinzukaufen der der Familie von Wolf-Füchteln gehörenden Hälfte mit Nordkirchen, zu dem Davensberg noch jetzt gehört. Ein eigenartiges Gefühl umstrickt uns, wenn wir bedenken, daß wir hier auf einem Boden stehen, auf dem vor Jahrhunderten reiches Leben pulsierte, Geschlechter geboren wurden und wieder vergingen; tapfere Ritter sind in den Staub gesunken und niemand gedenkt mehr ihrer. Aber der Verkörperung der alles überdauernden Geschichte gleich steht jener alte Turm da und verkündet den kleinen Menschenkindern, die da kommen, ihn aufzusuchen, ein stummberedtes Lied vom Werden und Vergehen der Geschlechter. Die kleine gotische der hl. Anna geweihte Kirche zu Davensberg, deren Dach im Westen ein Dachreiter ziert, ist im Jahre 1510 von Johann von Büren erbaut. In der letzten Zeit ist ihr Inneres sehr hübsch bemalt worden, ihren früheren Hauptschmuck, das alte schöne geschnitzte Chorgestühl, hat sie leider dadurch verlieren müssen. Diejenigen meiner freundlichen Mitwanderer, die noch gerne einiges mehr über die in der Nähe von Davensberg liegenden Rittergüter erfahren möchten, bitte ich, mir auf einer Wanderung zu folgen, die ich zu den beiden Häusern Bying und Romberg unternehmen werde. Von der Wirtschaft Börger gerechnet, gehen wir 400 Meter die Straße nach Ascheberg entlang. Wir treffen dann einen ziemlich breiten, rechts abzweigenden Fahrweg. Diesem folgend, kommen wir nach wenigen Schritten zu einer Wegegabelung, wir schlagen den Fußweg zur Linken ein, gehen an der Häusergruppe und dem Gärtchen vorbei und gelangen auf diesem Fußwege über eine Wiese in wenigen Minuten zum Hause Bying. Ähnlich wie bei der Ruine Davensberg der alte Turm, ist es beim Haus Bying das massive, zweistöckige Torhaus mit seinen beiden halbrunden, turmartigen Vorbauten und den beiden Schießscharten, welches sogleich die Aufmerksamkeit der Beschauer auf sich zieht. Dieses Torhaus, aber auch Waffenhalle genannt, ist mit Ziegelmosaik geschmeckt. Im oberen Stockwerke bemerken wir, aus dunklen Ziegeln hergestellt, zwei ballspielende Landsknechte. Über dem Toreingange ist eine Tafel mit dem Wappen derer von Ascheberg und von der Reck-Volmestein, mit der Jahreszahl 1561 angebracht. Die beiden Giebelseiten tragen im Geschmacke der Renaissance mit Kugeln gezierte Halbräder. Durch ein kleines Gärtchen treten wir in die gewölbte Durchfahrt und sehen hier die Rahmen der zu beiden Seiten in die einzelnen Gelasse fahrenden Türen, mit Spitzbogen und gotischen Profilleisten geschmückt.
Über eine Brücke treten wir in den Hof. Vom Herrenhaus ist keine Spur mehr vorhanden. Uns zur Rechten liegt ein einstöckiges langes Wirtschaftsgebäude, welches im nämlichen Stile, wie das Torhaus errichtet ist und aus dem Jahre 1558 stammt. Auch hier finden wir Ziegelsteinmosaik. Bemerkenswert ist bei diesem Gebäude die große Küche und die Tenne, welch letztere für sechs beladene Getreidewagen Platz bietet. Ein drittes kleines Gebäude weist ebenfalls in der Ausführung einige interessante Merkwürdigkeiten auf. Als die ältesten Besitzer des Hauses Bying werden die Herren von Ascheberg genannt, und zwar ist um 1400 Heinrich von Ascheberg, der mit Hille von Hamern vermählt ist, Herr zu Bying. Um 1550 finden wir Bying wieder im Besitze eines Heinrich von Ascheberg und seiner Frau Anna von der Reck; er ist der Erbauer der jetzt noch stehenden Gebäude, wie uns die Wappentafel über dem Eingange zum Torhaus kündet. Der Domherr Heidenreich von Ascheberg vermachte Bying im Jahre 1698 an Christoph Engelbert von Beverförde-Werries; mit dem "tollen Werries" erlischt auch dieser Stamm, und Bying gelangt an Friedrich Clemens von Elberfeldt unter der Bedingung, daß er Namen und Wappen des Erblassers annehme. Noch heute ist die Familie von Elberfeldt-Beverförde Besitzer des Hauses Bying. Vom Hause Bying führt uns unser Weg, welcher gleich hinter dem zur Rechten liegenden Wirtschaftsgebäude links abgeht, nach 650 Meter zum Gehöfte Lohhoft. Bei der Wegeteilung schlagen wir den links abgehenden Weg ein und kommen nach etwa 400 Meter zum Hause Romberg.
Um den lang gestreckten Burghof gruppieren sich Gebäude älteren und neueren Ursprungs. Dem Torhause gegenüber liegt das im Renaissancestil erbaute Herrenhaus, welches 1875 restauriert ist, ein hoher, zweistöckiger Bau, dessen Fenster mit Steinkreuzen geschmeckt sind. An dieses Haus schließt sich im Osten ein einstöckiges Gebäude, dessen Giebel, wie bei den Gebäuden des Gutes Bying, halbrunde Steinräder zieren. Die etwa 1,50 Meter über dem Erdboden gelegenen Türen geben zu der Vermutung Anlaß, daß vor diesem Gebäude Freitreppen in den Burghof führten. Die innere Einrichtung dieses etwa aus dem Jahre 1550 stammenden Hauses scheint darauf hinzudeuten, daß sich hier ein weiterer Rittersaal befand, der von dem noch jetzt an der südlichen Giebelwand befindlichen Kamine beheizt wurde. Die Ecke zwischen diesem Gebäude und dem jetzigen Herrenhause nimmt ein alter, geborstener, achteckiger Turm ein. Das frühere Herrenhaus soll ein zweistöckiger Bau gewesen sein, dessen zweiter, übergebauter Stock auf Holzträgern ruhte, und in dem jetzigen Garten gestanden haben. Der Name Romberg ist entstanden aus Rodenberg, welch letzteren das Gut noch um 1600 führte. Im Jahre 1870 wird unter der Zahl der Lehnsleute des Stiftes Münster ein Bernd von Rodenberg genannt, der wahrscheinlich auf Romberg gewohnt hat. Im 15. Jahrhundert finden wir Romberg im Besitze der Familie von der Leithe; zu Ende des 16. Jahrhunderts gehört es dem Meinhard von Raesfeld. Durch Heirat kam es dann an die Familie von Wolf-Füchteln und darauf an die Familie von Galen, in deren Besitze es sich noch heute befindet. Der jetzige Pächter Schräder besitzt noch mehrere hübsche Altertümer. Unseren Rückweg nach Davensberg wählen wir am besten über einen Fußweg, der vom Romberger Torhaus aus gerechnet etwa 100 Meter rechts vom Fahrwege abgeht, durch die große Wiese. Nach 600 Meter erreichen wir einen Fahrweg, der uns nach weiteren 750 Meter zur Chaussee bringt; von dort bis zum Dorfe sind es noch 550 Meter, so daß Romberg von Davensberg 2 Kilometer entfernt ist. Als Rückweg von Davensberg können wir zwar den Weg, den wir gekommen sind, über Haus Bisping benutzen; denjenigen jedoch, die mit der Heimkehr noch eine Tour durch die Wälder der Davert verbinden wollen, die, was die Annehmlichkeit der Wege aniangt, der im vorstehenden beschriebenen mindestens gleichkommt, möchte ich einen der im folgenden Abschnitte beschriebenen Wege empfehlen.. |
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Peter Werland in: Münsterischer Anzeiger vom 23. Juli 1904 (entnommen dem Buch "Davensberg, Burg und Flecken", Wilhelm Henrichmann, Heimatverein Davensberg) |